Ganzheitlich geheilt mit Belladonna-Kugeln
Den Homöopathischen Notdienst nutzen vor allem Familien – in kritischen Lagen zieht man Schulmediziner hinzu
Von Carolin Pirich
Wissenschaftler können zwar nicht nachweisen, wie genau die Kügelchen und hoch verdünnten Arzneimittel wirken.Manche schreiben ihnen sogar nur einen Placebo-Effekt zu. Aber in vielen Fällen zeigen die homöopathischen Substanzen doch eine Verbesserung der Beschwerden. Die Folge: Immer mehr Patienten suchen neben Schulmedizinern auch klassische Homöopathen auf. Deshalb haben sich in München mehrere Homöopathen und Heilpraktiker zusammengeschlossen, um einen Notdienst anzubieten. Wie beim ärztlichen Notdienst können hier Patienten bei akuten Beschwerden und Fragen außerhalb der Sprechstundenzeiten anrufen.Ein Angebot, das gerade von Familien gern genutzt wird. „Besonders Kindern helfen homöopathische Heilmethoden, da der kindliche Organismus noch sensibler auf die Arznei reagieren kann“, sagt die Mikrobiologin und klassische Homöopathin Dagmar Schmid, die in dieser Woche den Notdienst übernimmt.
Mehr als 60 Prozent der Patienten, so Schmid, rufen beim Notdienst wegen ihrer Kinder an. „Kleine Kinder haben oft Koliken und weinen die ganze Nacht“, berichtet sie. In der Praxis untersucht sie dann das Kind auf unterschiedliche Symptome. „Die individuelle Ausprägung der Krankheit ist wichtig“, erklärt die Homöopathin. Der junge Patient bekommt ein auf seine speziellen Bedürfnisse abgestimmtes Arzneimittel. Solche sind zum Beispiel Belladonna-Kügelchen oder Rescue-Tropfen, die „die eigenen Heilkräfte mobilisieren“, in dem durch die stark verdünnte Arznei ein„ähnliches Leiden“ im Körper hervorgerufen wird. So erklärt sich auch die Bezeichnung „Homöopathie“, ein Wort aus dem Griechischen. „Homöo“ bedeutet „ähnlich“, und „Pathos“ kann mit „Leiden“ übersetzt werden. In kritischen Situationen – wie nach einem Unfall – schicken die Homöopathen den Patienten zu einem Schulmediziner. „Es ist wichtig“,so Dagmar Schmid, „dass er weitere Diagnostiken durchführt.
“Die Homöopathie hat einen ganzheitlichen Ansatz: Ein wesentlicher Teil der Untersuchung ist das Gespräch mit dem Patienten. Halsschmerzen zum Beispiel könnten ganz unterschiedliche Ursachen haben. „Wir fragen, wo genau es wehtut“, sagt Dagmar Schmid, „ob der Schmerz stechend ist oder brennend. Ob es besser wird beim Trinken, ob der Patient Verlangen nach Kaltem oder Warmem hat.“ Zum ganzheitlichen Konzept gehört auch die Frage nach dem allgemeinen Befinden: Sucht die Person Nähe oder möchte sie alleine gelassen werden? Ist sie reizbar oder ängstlich? Auf diese Weise könne der Homöopath nicht nur das Symptom „Schmerz“ behandeln, sondern das Allgemeinbefinden verbessern.
Die meisten privaten Krankenkassen übernehmen die Kosten für eine Behandlung beim Homöopathen, wohingegen ein Kassenpatient bei Behandlungen außerhalb der Sprechzeit zwischen 24,50 Euro und 28 Euro für eine akute Therapiebezahlt – je nachdem, ob er etwa amSonntag oder in der Nacht anruft. Bei immerwiederkehrenden Leiden wie chronischer Blasenentzündung ist das „Anamnese-Gespräch“ über die Krankheitsgeschichte intensiver und daher teurer.
In Deutschland gibt es bisher nur wenige homöopathische Notdienste – bei Dagmar Schmid und ihren Kollegen rufen auch Patienten aus Passau oder sogar aus Berlin an,um sich amTelefon homöopathischen Rat zu holen. Im Münchner Raum bietet das Team in dringenden Fällen auch Hausbesuche an.
Der Homöopathische Notdienst ist unter der Telefonnummer 0172/9610112 zu erreichen. Weitere Infos gibt es unter www.homoeopathischer-notdienst.de
Süddeutsche Zeitung Nr. 45 VMS, Seite S1, München, Freitag, 23. Februar 2007